"Mutter Scherkamp" und ihre Gaststätte

 

Horster Straße 56

 

Das Haus, das im Jahre 1872 an der Horster Straße 56 erbaut wurde, zählt mit zu den  ältesten Gebäuden in Buer. Es beherbergte die "Gaststätte Scherkamp", die seit der Errichtung der ersten Zeche in Buer der Inbegriff Buerscher Gastlichkeit ist und fast ausschließlich von Frauen bewirtschaftet wurde. Der Besitzer der Gaststätte war Heinrich Scherkamp. Neben seinem "Restaurant Heinrich Scherkamp" betrieb er die Bahnspedition in Buer. Wahrscheinlich bewirtschaftete seine erste Frau das Restaurant seit der Eröffnung in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allein. Sie verstarb im Jahre 1933.

 

Am 1. Juli 1941 heiratete Heinrich Scherkamp in zweiter Ehe Elisabeth Scherkamp. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1949 führte dann Elisabeth Scherkamp gemeinsam mit der aus der ersten Ehe ihres verstorbenen Mannes stammenden Tochter das Lokal. Die Tochter hieß wie ihre Stiefmutter Elisabeth. Mutter und Stieftochter waren die großen alten Damen der Buerschen Kneipenszenerie.

 

Die Gaststätte Scherkamp (Quelle: privat)

Im Ruhrrevier hatten die Kneipen rund um die Zechen immer eine besondere Bedeutung. Um die Jahrhundertwende gab es mehr Kneipen als Gaslaternen. Das Verhältnis fiel wie folgt aus: siebzig Laternen zu achtundsiebzig Kneipen. Die Kneipen waren Treffpunkte für gemütliches Zusammensein, sie dienten der Erholung von der schweren und gefährlichen Arbeit unter und über Tage. Hier wurde erzählt, gelacht, aber oft genug auch getrauert, wenn ein Unglück auf der Zeche passiert war. Die Öffnungszeiten der Kneipen richteten sich nach den Tages- und Nachtschichten der Kumpels, vor allem waren sie auf die Zahltage abgestimmt. An diesen Tagen öffneten viele Kneipen schon morgens um 6 Uhr ihren Ausschank – natürlich zum Ärger der Frauen. Nicht wenige der Frauen standen schon morgens mit Kind und Kegel am Zechentor, um ihre Männer, und vor allem die Lohntüte in Empfang zu nehmen. Jene Frauen, die nicht rechtzeitig am Zechentor standen, schreckten auch nicht vor dem Gang in die Kneipe zurück – natürlich zum Ärger der Männer.

 

"Er hatte es geschafft mit seinem Fahrrad an den fünf Kneipen rund um die Zeche Hugo vorbeizukommen, aber auf der Horster Straße ging im öfters die Puste aus, da musste er bei Mutter Scherkamp sein Bierchen trinken", erzählte die Bergarbeiterfrau, die an der Beckeradstraße wohnte. "Wenn’s bei dem Durstlöschen blieb, war’s gut, wenn’s drüber war, blieb das Rad stehen", erzählte die andere, die auf dem Markt eingekauft hatte und auf dem Heinweg nicht nur die Tasche am Arm schleppen musste.

 

Elisabeth Scherkamp mit ihrer Stieftochter (Quelle: privat)

Die beiden Scherkamp’s Frauen hatten immer ein offenes Ohr für die Kumpel und deren Ehefrauen. Es gab lustige und traurige Erlebnisse, die die Wirtsfrauen erzählten konnten. Die Erlebnisse handelten von den schweren Hungerjahren, der Weltwirtschaftskrise, von Arbeitslosigkeit, den beiden Weltkriegen, von den Bombennächten und dem Wiederaufbau nach 1945. Liebevoll wurden beide Frauen von ihren Gästen Mutter Scherkamp genannt.

 

Elisabeth Scherkamp, Heinrich Scherkamps Witwe, wurde 99 Jahre alt und stand bis kurz vor ihrem Tod im Jahre 1990 hinter dem Tresen. Nach ihrem Tod übernahm die Tochter Elisabeth, bereits achtzigjährig, die Gaststätte. Als in Buer vom 11. Februar bis 15. März 1997 rund um die Zeche Hugo (Verbundbergwerk Ewald Hugo) und in der Evangelischen Apostelkirche ("Kirche der Solidarität") an der Horster Straße die großen Solidaritätskundgebungen und Demonstrationen für den Erhalt der Zeche stattfanden, war die Kneipe "Mutter Scherkamp" beliebter Treffpunkt für Bergleute und Demonstranten. Elisabeth Scherkamp erlebte den Kampf der Bergarbeiter, deren Familien und der Gewerkschaften aus nächster Nähe mit. Sie starb am 22. Juni 1999 kurz vor ihrem neunzigsten Geburtstag.

 

Ende April 2000 wurde das letzte Bergwerk in Gelsenkirchen geschlossen. Das war auch für viele Kneipen das Aus. Die Gaststätte Scherkamp gibt es wieder, mit neuem Flair, Biergarten und traditioneller Gemütlichkeit.

 

Quelle: Marianne Konze

 

Aus: Von Hexen, Engeln und anderen Kämpferinnen - Stadtrundgänge aus Frauensicht in Gelsenkirchen. Hrsg.: Frauen- und Mädchenforum der Lokalen aGEnda 21 in Kooperation mit dem Frauenbüro der Stadt Gelsenkirchen und dem aGEnda 21-Büro. Gelsenkirchen 2001.

 

Textauszug, redaktionell bearbeitet durch das aGEnda 21-Büro

 

Das Lesebuch zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen ist im Gelsenkirchener Buchhandel und im aGEnda 21-Büro (Telefon 0209 / 147 91 30) erhältlich.