Anna Spiekermann (um 1670-1706) 

 

Das letzte Opfer der Hexenverfolgung im Vest Recklinghausen

 

Anna Spiekermann stammte aus der zu Buer gehörenden Bauerschaft Sutum. Die Bauerschaft liegt nordöstlich des Rhein-Herne-Kanals zwischen Horster Straße und Kurt-Schumacher-Straße. Östlich der Theodor-Otte-Straße steht das Haus Spiekermann. In der Nähe des Hofes befand sich das Geburtshaus der Anna Spiekermann. Sie wurde als letztes Opfer einer fast zweihundertjährigen Geschichte der Hexenverfolgung im Vest Recklinghausen am 31. Juli 1706 hingerichtet.

 

Anna Spiekermann kam um das Jahr 1670 als uneheliche Tochter der Elßken Spiekermann auf dem elterlichen Kotten in Sutum zur Welt. Sie heiratete Dirich Brockmann aus Sutum vom Brockmannshof und gebar eine Tochter. Nach dem ihr Mann als Soldat gefallen war, musste sie den Hof der Schwiegerfamilie verlassen. Da auch die eigene Familie sie nicht wieder aufnahm, zog sie im Jahre 1705 zu ihrer Tante und Patin nach Westerholt und arbeitete auf verschiedenen Höfen als Magd.

 

In Westerholt musste sich die 35jährige Witwe gegen den Vergewaltigungsversuch eines Westerholters namens Johannes Krampe wehren. Der rächte sich, in dem er das Gerücht verbreitete, Anna Spiekermann habe ihn durch Behexung „seiner Manneskraft“ beraubt. Seine Impotenz wird in den Gerichtsakten, nach denen der Fall Anna Spiekermann hier rekonstruiert wird, bestätigt. Jedoch hatte Krampe über dieses Leiden geklagt und Ärzte konsultiert, lange bevor Anna Spiekermann in Westerholt eingetroffen war. Für den anschließenden Rachefeldzug rotteten sich 20 Männer zusammen und prügelten am Ende ihrer Verfolgungsjagd, die durch das Dorf führte und für alle Dorfbewohner wahrnehmbar war, aus der Frau die erwarteten "Zugeständnisse" heraus. In dem anschließenden Prozess legte das Gericht der Angeklagten die erpressten Untaten zur Last und klagte sie wegen Hexerei und Zauberei an.

 

Den Gerichtsakten ist zu entnehmen, dass sich die Angeklagte wohl zu verteidigen wusste. Aber spätestens unter den Qualen der wiederholten Folter gab sie alle Taten zu, die das Gericht verlas und ihr zu Last legte. Nach Abbruch der Folter und wieder bei Besinnung widerrief sie alles, wies immer wieder darauf hin, dass sie nicht mehr wisse, was sie tue oder sage, gesagt oder getan haben soll und nahm alle unter der Folter gemachten "Zugeständnisse"  wieder zurück.

 

Am 31. Juli des Jahres 1706 wurde die 36jährige Anna Spiekermann, Witwe und Dienstmagd, nach über 15 Monate Kerkerhaft wegen "Zauberei" und  den an Menschen und Vieh verübten "Schaden" zum Tod durch das Schwert verurteilt. Ihr "toter Körper" sollte „zum abscheulichen Exempel durch den Scharfrichter öffentlich“ verbrannt werden. An diesem Tag befand sich Westerholt in einem Belagerungszustand. Die Ursache hierfür lag in dem seit langem schwelende Machtkampf zwischen dem Grafen von Westerholt, der gleichzeitig Schlossherr und Gerichtsherr war, und den Einwohnern. In diesem Machtkampf forderten die Westerholter mehr Freiheiten und die Ablösung der Feudallasten.

 

Vor diesem Hintergrund besaß der Prozess der Anna Spiekermann eine außerordentlich politische Brisanz. Im Grunde ging es um eine Kraftprobe zwischen den Einwohnern und dem Grafen von Westerholt. Letzterer demonstrierte seine Macht, als er zur Hinrichtungsstätte der Anna Spiekermann einen Platz bestimmte, an dem die Prozessionen der Westerholter traditionsgemäß vorbeizuziehen pflegten. Die Einwohner fassten diese Entscheidung als Provokation auf und reagierten mit Beschwerden beim kurfürstlichen Gericht Recklinghausen.

 

Jedoch ergriff die kurkölnische Landesbehörde eindeutig Partei gegen die Westerholter und  für den Grafen- und Gerichtsherrn. Am Hinrichtungstag von Anna Spiekermann belagerten 700 aus den Nachbarorten angereiste Landschützen Westerholt. Ihre Anwesenheit sollte die Durchführung einer störungsfreien Exekution garantieren und damit gleichzeitig öffentlich die Jurisdiktionsgewalt des Grafen demonstrieren.

 

Anna Spiekermann war das letzte Opfer des Irrglaubens des Hexenwahns im Vest Recklinghausen, zu dem auch Buer, Horst und Westerholt, sowie eine Anzahl von Kirchenspielen und Bauerschaften der hiesigen Gegend gehörten.

 

Aufgrund ihres Geschlechts schrieb man der Frau die Schuld an der Impotenz eines Mannes zu, der als Schläger und Trinker im Dort bekannt war und der sie als Hexe denunziert hatte.

 

Der ungewöhnlich lange Prozessverlauf und somit ihr 15 Monate lang dauerndes Martyrium war die Folge der Machtkämpfe zwischen den Feudalherren und den Dorfbewohnern, die politische Rechte und Freiheiten einforderten.

 

Quelle: Marlies Mrotzek

 

Aus: Von Hexen, Engeln und anderen Kämpferinnen - Stadtrundgänge aus Frauensicht in Gelsenkirchen. Hrsg.: Frauen- und Mädchenforum der Lokalen aGEnda 21 in Kooperation mit dem Frauenbüro der Stadt Gelsenkirchen und dem aGEnda 21-Büro. Gelsenkirchen 2001.

 

Textauszug, redaktionell bearbeitet durch das aGEnda 21-Büro

 

Das Lesebuch zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen ist im Gelsenkirchener Buchhandel und im aGEnda 21-Büro (Telefon 0209 / 147 91 30) erhältlich.