Der Beginenkonvent 1298

 

Klosterstraße

 

Die Beginengemeinschaften nehmen in den Studien zur religiösen Frauenbewegung des Mittelalters einen zentralen Platz ein. Der Grund dafür liegt in ihrer relativ selbstbestimmten Lebensführung. Die Beginen waren Frauen, die ein Leben nach religiösen Regeln und existenzsichernder Arbeit anstrebten und sich nicht um die Anbindung an einen Männerorden bemühten, wie das die Prämonstratenserinnen und Zisterzienserinnen taten. Damit kommen diese Frauengemeinschaften am ehesten der Vorstellung von einer "autonomen Frauenbewegung" nahe.

 

Der erste urkundliche Beleg für Beginen in Deutschland 1223 ist für Köln nachzuweisen. In unserer Region finden erste Erwähnung folgende Städte: ca. 1280 Dortmund, 1283 Schwerte, 1288 Essen, 1298 Gelsenkirchen, 1322 Bochum.

 

Das Gebiet des heutigen Gelsenkirchen gehörte im Mittelalter zum Dekanat Essen und zur Grundherrschaft des freiweltlichen Damenstiftes in Essen. In diesem Raum wurden an den Ufern der Emscher vier Sakralbauten vorgefunden. Den Bereich im Nordosten füllte die Pfarrei St. Georg am äußersten Rand des Emscherbruches aus.

 

Das Damenstift in Essen soll um 850 von Alfrid, Bischof von Hildesheim, in den Jahren 851-874 gegründet worden sein. Gegen diese Darstellung spricht, dass das freiweltliche Damenstift Essen als eine Einrichtung des gemeinsamen Lebens von Frauen und Mädchen gegründet worden ist und die Forschung bis heute den Nachweis für die Gründungstätigkeit des Alfrid nicht erbracht hat. Im Laufe seiner fast tausendjährigen Geschichte wurde das Stift von 48 Äbtissinnen bzw. Fürstinnen-Äbtissinnen geleitet. Die höchste Position in der Hierarchie des Stiftes nahm die Äbtissin der Abtei ein, die spätestens seit dem Jahre 1230 auch Fürstin des Reiches also Landesherrin war.

 

Die materielle Basis für das Stift lieferten u.a. die beiden Höfe Viehhof und Eickenscheid und der Essener Grundbesitz, der als Streubesitz im Bereich des Ruhrgebietes zwischen Duisburg und Unna, südlich der Ruhr und nördlich der Lippe lag. In unserem Raum gehörten neben einer großen Anzahl von Höfen in Rotthausen, Gelsenkirchen und Heßler auch die Höfe in Schalke zum Grundbesitz des Stiftes Essen. Diese Unterhöfe waren in den meisten Fällen den Oberhöfen Nünning, Nienhausen, Schalke und dem Brockhof nahe von Gelsenkirchen unterstellt.

 

Auf dem Boden des Essener Oberhofes Brockhof entstand unter der Patronatsherrschaft der Äbtissin von Essen im Jahre 1027 die erwähnte Kirche der Pfarrei St. Georg (Standort heutige Evangelische Altstadtkirche). 1298 ließ die 21. gewählte Essener Äbtissin, Beatrix von Holte, vermutlich in der Nähe dieser ersten Kirche einen Beginenkonvent errichten. Die besiegelten Statuten des Beginenkonventes datieren vom 23. April 1298 (St.-Georgs-Tag). Der Kirchsprengel Gelsenkirchen wird damit in diesem Dokument frühestens 1298 als Pfarrei unbestimmter Größenordnung bezeichnet.

 

Der Standort des Konventes wird nördlich der Kirchstraße, zwischen Ahstraße (im Westen) und Ringstraße (im Osten) zu suchen sein. Außer den Statuten liegen bis jetzt keine weiteren Hinweise auf die Existenz des Beginenkonventes vor. Nähere Hinweise über den Einfluss der Beginen auf die spezifischen Anfänge städtischer Entwicklung im Emscherbruch, die Stellung der Beginen am Markt als Produzentinnen von Waren oder Lehrerinnen und die vielleicht lokal gefärbten Gründe für den Niedergang des Konventes bleiben Gegenstand weiterer Forschungen.

 

Die Statuten des Beginenkonventes in Gelsenkirchen:

 

"Damit das, was im Laufe der Zeit geschieht, nicht auch durch den Wechsel der Zeit der Vergessenheit anheimfalle, ist es gut, wenn es schriftlich niedergelegt wird. Darum habe Wir, Beatrix, Äbtissin der Kirche zu Essen, beschlossen, Allen, die diesen Brief zu Gesicht bekommen, bekannt zu machen und Wir bezeugen mit Gegenwärtigem, daß die Beginen, die in Gelsenkirchen in dem Hause wohnen, welches liegt bei dem Dorngehege, das 'Lo' genannt wird, in Unserer Gegenwart sich constituirt, auf  gemeinsame Berathschlagung und allgemeine Uebereinstimmung hin Folgendes unter sich festgesetzt und auch für immer und unveränderlich zu beobachten beschlossen haben:

 

1. Daß Jede, die das Beginenhaus verläßt, um anderswo gegen den Willen der Oberin und der Beginen zu wohnen, in Zukunft durchaus kein Recht auf besagtes Haus mehr beanspruchen kann. Auch sind die Beginen nicht verpflichtet, sie wieder aufzunehmen, noch ihr irgend eine Geldsumme auszuzahlen.

 

2. Weiterhin beschloß man, daß, wenn eine der Beginen in öffentliche Infamie gerathe oder in ein Verbrechen verwickelt würde, dessen sie überführt werden könnte, sie dann aus dem Hause verstoßen werden könne, ohne Rückgabe irgend welchen Geldes.

 

3. Desgleichen beschloß man, daß, wenn eine der Beginen eigenmächtig und ohne Erlaubnis der Oberin, zu der sie eine verständige Person innerhalb 24 Stunden zu erwählen haben, und der sie gutwillig zu folgen haben, nach eigenem Gutdünken und eigenem Willen das Haus verlassen will, um draußen, sei es zur Tag- oder sei es zur Nachtzeit, umherzulaufen, diese dann, wie vorgeschrieben, aus der gemeinsamen Wohnung und aus dem Konvent der Beginen vollständig ausgeschlossen und entfernt werden könne.

 

4. Sodann beschloß man, daß keine Person in die Beginengemeinschaft aufgenommen werden dürfe, die nicht so frei wäre, daß weder Eltern noch Herren irgend ein Recht auf ihr Vermögen, wenn sie den Weg alles Fleisches ginge, sich anmaßen könnten.

 

5. Ferner beschloß man, daß keine aus dem Convente irgend eine zeugeneidliche Bürgschaft für Jemanden, wer immer es sein möge, übernehmen dürfe. Thäte sie es doch, könnte sie entlassen werden.

 

6. Auch beschloß man, daß eine jede Begine, die nach Recht und einträchtig mit Zustimmung des Hauses Beichtvater zur Oberin gewählt sei, nach der Wahl auch die Leitung des Hauses übernehmen müsse, es sei denn, daß ein gewichtiger vernünftiger Grund dagegen spreche.

 

7. Weiter beschloß man, daß, wenn eine Begine mit Erlaubnis der Oberin und anderer Verständiger um des lieben Friedens willen eine Zeit lang bei ihren Blutsverwandten oder bei ihrer Freundschaft wohnen wolle und sie in dieser Zeit ihren guten Ruf bewahre und auch eines lobenswerthen Lebenswandels sich befleißige, die anderen Beginen sie nach der festgesetzten Zeit wieder aufzunehmen verpflichtet seien.

 

8. Endlich beschloß man, daß die anderen Personen, die ihnen im Laufe der Zeit im Hause nachfolgten, alle vorgenannten Statuten gewissenhaft zu beobachten verpflichtet sein sollten.

So geschehen im Jahres des Herrn 1298, am Feste des hl. Märtyrers Georg.

 

Zur Beurkundung dieses, damit kein Mensch diese Anordnung zu nichte machen, oder sie auf Bitten der Beginen umändern könne, haben Wir, Beatrix, Äbtissin der Essener Kirche, diesen Brief mit Unserem Siegel, dem Siegel Gottfrieds, Rectors der Kirche zu Gelsenkirchen und dem Siegel des Ritters Eberhard von Dorneburg zu versehen für gut befunden. Anwesend waren noch: Caesarius von Schalke und seine zwei ältesten Söhne, Winnimar von der Wiese und sein Bruder Hermann, Bernhard von der Mühle, Hugo von Vishausen, Gottried von Bulmke, Geistlicher von der A, Meier vom Brockhofe, und mehrere andere glaubwürdige Personen der Pfarrei."

 

Quelle: Marlies Mrotzek

 

Aus: Von Hexen, Engeln und anderen Kämpferinnen - Stadtrundgänge aus Frauensicht in Gelsenkirchen. Hrsg.: Frauen- und Mädchenforum der Lokalen aGEnda 21 in Kooperation mit dem Frauenbüro der Stadt Gelsenkirchen und dem aGEnda 21-Büro. Gelsenkirchen 2001.

 

Textauszug, redaktionell bearbeitet durch das aGEnda 21-Büro

 

Das Lesebuch zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen ist im Gelsenkirchener Buchhandel und im aGEnda 21-Büro (Telefon 0209 / 147 91 30) erhältlich.